P. Rogger u.a. (Hrsg.): Beobachten, Vernetzen, Verhandeln

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Titel
Beobachten, Vernetzen, Verhandeln / Observer, connecter, négocier. Diplomatische Akteure und politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft / Acteurs diplomatiques et cultures politiques dans le Corps helvétique, XVIIe et XVIIIe siècles


Herausgeber
Rogger, Philippe; Weber, Nadir
Reihe
Itinera 45
Erschienen
Basel 2018: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
198 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Dorothée Goetze, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrichs-Wilhelms-Universität Bonn

Mit ihrer diplomatiegeschichtlich ausgerichteten Ausgabe der „Itinera“ (dem Beiheft zur Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte) zum Thema „Diplomatische Akteure und politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft“ schließen die Herausgeber Philippe Rogger und Nadir Weber an die Forschungen der Neuen Diplomatiegeschichte mit ihrer akteurszentrierten Perspektive sowie an die Ansätze zur Kulturgeschichte des Politischen an. Ziel des Bandes, der auf zwei Sektionen der Schweizerischen Geschichtstage 2016 zurückgeht, ist es, einerseits den „Interdependenzen zwischen der Beobachtung und Beschreibung der eidgenössischen Verfassungsformen, den Formen personaler Verflechtung, die in Außenbeziehungen wirksam waren, und den Praktiken des Verhandelns, die damit zusammenhingen“ (S. 7) nachzugehen. Andererseits soll der Band mit seinen fünf Fallstudien einen Überblick zum Stand der Forschung über die eidgenössischen Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit liefern.

Dieser zweiten Aufgabe nimmt sich die umfangreiche Einleitung der Herausgeber an (S. 9–44). Aufgrund ihres republikanischen Wesens und der Abwesenheit eines politischen Zentrums habe die politische Verfassung der Eidgenossenschaft auf fremde Beobachter „irregulär und anarchisch“ gewirkt. Um diese Defizite in den Außenbeziehungen zur europäischen Fürstengesellschaft auszugleichen, mussten eidgenössische politische Akteure spezifische Formen diplomatischer Interaktion entwickeln, so Philippe Rogger und Nadir Weber. In Abstraktion der drei grundlegenden Aufgaben frühneuzeitlicher Diplomaten schlagen sie die Kategorien „Beobachten, Vernetzen, Verhandeln“ als Leitkategorien für die Rekonstruktion dieser besonderen eidgenössischen Kultur vor (S. 12f., 31–44). Diese war geprägt durch die Komplexität der eidgenössischen Verfassung und den Beziehungen der Orte des Corpus Helveticum zueinander, so dass Weber und Rogger von inneren und äußeren Außenbeziehungen sprechen (S. 23). Um den inneren Verhältnissen der Eidgenossenschaft und ihren Orten adäquat Rechnung tragen zu können, mussten auswärtige Gesandte umfangreiche personelle Netzwerke etablieren (S. 24ff.). Ein weiteres Merkmal der schweizerischen Außenbeziehungen sei gewesen, dass die Eidgenossenschaft in der Regel auf permanente Botschafter im Ausland verzichtete und im Bedarfsfall auf anlassbezogene Gesandte zurückgriff. Dies spiegeln die im hier besprochenen Band zusammengestellten Fallstudien wider, die mit Ausnahme des Beitrags von Sarah Rindlisbacher über die Gesandtschaftsreise Johann Heinrich Hottingers (S. 68–91) die Perspektive von Gesandten fremder Mächte, die in der Eidgenossenschaft aktiv waren, auf die diplomatisch-politischen Verhältnisse des Corpus Helveticum einnehmen. Den aus der diplomatischen Kernaufgabe „Berichten/Beobachten“ resultierenden typischen Informationsfluss an die Entsendungsinstitution kompensierte die Eidgenossenschaft durch eine „Diplomatie ohne Diplomaten“ (Andreas Affolter): Die politischen Akteure des Corpus Helveticum und seiner Orte griffen hierfür auf die Korrespondenzen mit ihren im Ausland als Kaufleute, Gelehrte, Militärs, Geistliche und in ähnlichen Stellungen (mithin den Tätigkeitsfeldern, aus denen informelle Gesandte rekrutiert wurden) tätigen Familienangehörigen zurück (S. 27).

Entsprechend berücksichtigen die Fallstudien sowohl formelle als auch informelle Gesandtschaften innerhalb und außerhalb der Eidgenossenschaft. Die Beiträge von Samuel Weber, Andreas Affolter und Nadja Ackermann lassen sich den Kategorien „Beobachten“ und „Verhandeln“ zuordnen: Weber beleuchtet die Rolle des päpstlichen Nuntius Federico Borromeo im sogenannten Zwyerhandel (1656–1659), dem Konflikt zwischen den Kantonen Schwyz und Uri um den Offizier und Landeshauptmann Sebastian Peregrin Zwyer von Evebach, der sich zu einer gesamtschweizerischen Angelegenheit ausweitete (S. 45–67). Nuntius Borromeo versuchte, den Zwyerhandel für seine eigene Karriere zu nutzen und spekulierte darauf, nach einer erfolgreichen Schlichtung auf einen attraktiveren Posten befördert zu werden. Das Vorhaben misslang. „Das Framing der Auseinandersetzung als Widerstreit zwischen ,Leidenschaft‘ und ,Interesse‘“ in seiner Korrespondenz ist einerseits aus seinem Erleben der republikanischen Umstürze in Neapel in den 1640er-Jahren zu erklären, andererseits ist es als Kommunikationsstrategie sowohl in der Vermittlung zwischen den beiden Hauptgegnern als auch im Falle des Scheiterns gegenüber der Kurie zu betrachten. Affolter geht der Frage nach, welches Wissen französische Botschafter in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts über die Verfassung der Eidgenossenschaft besaßen und wie sie dieses Wissen jeweils anwandten bzw. welche Bewertungen sie daraus ableiteten (S. 116–131). Ackermanns Studie zu Jean-Pierre de Chambrier untersucht, wie dieser auf die revolutionären Umbrüche in der Eidgenossenschaft (1789–1815) reagierte und versuchte, bei der Neugestaltung der Verfassung eine preußische Statthalterschaft über die Schweiz und Neuenburg zu etablieren (S. 132–153). Besonders die beiden letztgenannten Beiträge integrieren dabei auch Aspekte der politischen Ideengeschichte in ihre diplomatiegeschichtlichen Untersuchungen.

Sarah Rindlisbacher und Katrin Keller stellen die Bedeutung persönlicher Netzwerke für die Auswahl informeller diplomatischer Akteure heraus. Weder Johann Heinrich Hottinger, der im Auftrag Zürichs mit protestantischen Reichsfürsten und den Niederlanden verhandelte (S. 68–91), noch Peter Johann Stuppa, der 1671 in der Eidgenossenschaft Truppen im Auftrag Ludwigs XIV. von Frankreich warb, waren offiziell als Diplomaten bevollmächtigt. Rindlisbacher argumentiert überzeugend, dass Zürich das Fehlen adeliger Diplomaten und seinen aufgrund seiner republikanischen Verfassung defizitären Status in der europäischen Fürstengesellschaft erfolgreich kompensierte, indem es mit Hottinger ein prominentes Mitglied der europäischen Gelehrtenrepublik als Gesandten auswählte. Zudem wurde dessen Mission als Gelehrtenreise deklariert. Dies hatte den Vorteil, dass der repräsentative Aufwand und die damit verbundenen Kosten geringer ausfielen, weil er nicht dem höfischen Zeremoniell fremder Diplomaten entsprechen musste. Auch wurde Hottingers diplomatischer Spielraum dadurch erweitert: Er konnte so auf sein geistliches und gelehrtes Netzwerk zurückgreifen, um an seinen Zielorten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern zu erhalten und war nicht ausschließlich auf den offiziellen Weg der diplomatischen Audienz angewiesen.

Ergänzt werden die fünf Fallstudien des Bandes durch vier Essays von André Holenstein, Béla Kapossy, Daniel Schläppi und Christian Windler, die Kommentarfunktionen übernehmen. André Holenstein abstrahiert die Erkenntnisse der einzelnen Beiträge, um daraus allgemeine Merkmale frühneuzeitlicher Außenbeziehungen der Eidgenossenschaft abzuleiten (S. 154–165). Dabei unterstreicht er noch einmal, dass sich die oft informellen Akteure eidgenössischer Diplomatie in grenzüberschreitenden Patronage-Klientel-Beziehungen zu europäischen Mächten, besonders Frankreich und den Habsburgern, bewegten (S. 158) und daher Karrieremigration eine attraktive Option darstellte, sowohl um Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen, die in der Eidgenossenschaft nicht zur Verfügung standen, als auch um das andernorts erworbene soziale und symbolische Kapital „zur Stabilisierung zu Hause zu nutzen“ (S. 161). Béla Kapossy formuliert in seinem Kommentar (S. 166–172) ein Plädoyer für die engere Verzahnung von Neuer Diplomatiegeschichte und politischer Ideengeschichte (S. 172) – ein Forschungsfeld, das in jüngster Zeit mehr Aufmerksamkeit erfahren hat.1 Christian Windler (S. 187–198) geht mit seinen Ausführungen in eine ähnliche Richtung, wenn er betont, dass Fremdheitsdiskurse, wie sie etwa in den Studien von Samuel Weber und André Affolter von zentraler argumentativer Bedeutung für die diplomatischen Akteure sind, selten Ausdruck tatsächlichen Nichtwissens waren, sondern vielmehr eine Kommunikationsstrategie, die die Dauerhaftigkeit von Kontakten über politische Störungen hinweg sicherte, indem sie diese mit Nichtwissen entschuldigte (S. 190).

Die Herausgeber haben einen interessanten und anregenden Band vorgelegt: Mit ihrem Ansatz, Zugänge der Neuen Diplomatiegeschichte mit denen der politischen Ideengeschichte zu verbinden, tragen sie nicht nur zur Weiterentwicklung der Forschung zu frühneuzeitlicher Diplomatie bei, sondern es gelingt ihnen auch, einem weniger informierten Rezipientenkreis einen fundierten Einblick in die Verfassungsstrukturen der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft und die daraus resultierenden Herausforderungen für deren Außenbeziehungen zu geben. Hier wären weitere, insbesondere auch vergleichende Forschungen zu den Niederlanden sicherlich gewinnbringend.

Anmerkung:
1 Etwa: Guido Braun (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissensproduktion, Berlin 2018.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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